Der Genuss der langen Schatten – 3 Gründe, warum ich lange Schatten genieße

„Der Schatten ist der gar nicht oder weniger beleuchtete Raum (Bereich) hinter einem undurchsichtigen oder nicht vollkommen durchsichtigen Körper, der sich im Strahlengang einer Lichtquelle befindet.“ Wikipedia

Der Schatten ist also immer da, denn …. „Wo Licht ist, ist auch Schatten“. Je nach Lichtquelle, nach deren Position, Stand und Ausrichtung ändert sich alles oder nichts. Der Schatten ist nichts Fixes, variiert, ist nicht materiell, hat unterschiedliche Dichten, markiert also einen Übergang.

Ich mag Übergänge. Das sind u.a. Zeiten zwischen den Zeiten. In dieser Zeit bin ich jetzt. Nicht mehr Sommer. Herbst. Spätsommer. Der Herbst noch nicht so ganz da. Nenne es, wie es für Dich passt. Für mich bedeutet es, dass etwas geht, das vorbei ist und dessen Zeit abgelaufen ist. Es fällt mir schwer, mich davon zu verabschieden, weil es so schön war, so anregend und inspirierend, so friedlich und heimelig. Oder ich bin froh, weil es auch mal schrecklich war und ich hatte mich arrangiert, mich daran gewöhnt, mich eingegroovt, es halt als meins akzeptiert. Das Neue ist unterwegs, noch nicht zu sehen, nicht mal erkennbar, nicht ansatzweise. Aber ich fühle es schon ein wenig, ich rieche es, es klopft an wie ein Kind, das sich die Hände vor die Augen hält und ruft: such mich doch. Ich weiß mit großer Gewissheit, es ist bereits da.

 1. Ich liebe die Schatten im Herbst. Besonders die Langen. Die Sonne steht tief am Nachmittag. Das Licht ist strahlend, direkt und dennoch weich. Die Umrisse sind verzerrt, die Konturen viel verwischter und viel weicher gezeichnet. Ein besonderer Zauber liegt über diesem Szenario. Meine Fantasie geht mit mir durch. Da ist was Mystisches dran. Ich sehe Formen, die wie ein Gespenst aussehen. Oder wie ein Schmetterling, der sich vom Wind tragen lässt. Oder im Sonnenlicht tanzende Blätter, die mich selbst anregen, wieder mehr zu tanzen, in einer zarten Bewegung, einem zarten sich Annähern. Es fühlt sich an, als würden sie eine Möglichkeit ausloten, versuchen, testen, tun. Oder doch nicht? Das Mystische kommt mir entgegen in den Düften: feucht, aber noch warm vom Sommer, schon in Umsetzung begriffen, rieche ich den beginnenden Moder des Laubes und sehe viele Blätter an den immer noch grünen Bäumen. Die Farben sind bunt und fröhlich und kündigen den Übergang und ihren eigenen Untergang an. 

  

 2. Lange Schatten haben etwas Verzerrtes. Die Formen sind zu erkennen, aber sie entsprechen nicht der Realität und nicht der tatsächlichen Form. Sie haben unterschiedliche Farben und Intensitäten, d.h. innen ist die Farbe und die Dunkelheit viel stärker, während sich das nach außen hin abmildert. Ich denke an das richtige Leben. Ist es da nicht auch so? Wenn ich direkt im Schatten von etwas steht, wirkt es dramatisch und bedrohlich. Je mehr ich nach außen trete, umso mehr mischt sich ein wenig mehr Licht hinein, sodass die Bedrohung nachlässt. Da kommt ein neues Argument hinein, ein anderes Licht. Das ist ein Zeichen des Friedens. Zeigt es doch, es auf die Perspektive ankommt, auf meinen eigenen Standpunkt. Wie schaue ich auf etwas? Welchen Winkel nehme ich ein? Wie will das sehen? Warum tue ich das nicht immer?  

 

3.  Ich liebe lange Schatten, denn sie haben auch etwas, das schützt, verteidigt, manches lebbar macht und überlebbar. Als ich durch den Park laufe, fiel mir auf, dass da ein kleiner Baum neben dem großen Baum heranwächst. Er ist schon fast 80 cm hoch, d.h. er hat schon eine Zeit gehabt zum Anwachsen und Gedeihen. Er wächst am Großen. Wer weiß, ob der Kleine auf der sonnigen Wiese überhaupt überlebt hätte. Vielleicht wäre es verbrannt und an dem vielen Licht zerbrochen? Vielleicht wäre sein Samen ganz leicht von einem Vogel gefressen worden? Der Schatten verhindert also, dass der kleine Baum in seinen ersten Lebensjahren verbrennt und dadurch keine Chance gehabt hätte. Der Schatten ermöglicht Wachstum und Gedeihen. Was für eine Metapher.  

Mein Fazit: Schatten sind für mich faszinierend. Besonders die Langen. Negativ und positiv, schützend und bedrohlich, hell und dunkel. Die Gegensätze sind allgegenwärtig, tatsächlich und metaphorisch. Was zählt, ist die Sichtweise darauf und wie meine Beurteilung ist, die Perspektive, die ich dazu einnehme, die Interpretation, die ich finde, faszinierend oder bedrohlich. Ich genieße jeden sonnigen Tag in dieser Zeit des Herbstes, denn dieses Spiel aus Formen, Farben, Licht, Fantasie und Wirklichkeit üben einen großen Reiz auf mich aus.                                                                                                                                                             

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert